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"Was macht eigentlich ein Veganer in Argentinien?"

Das war die Frage, die mir (Marcel) vor kurzem ein Arbeitskollege während eines Online-Meetings stellte. Und meinte dabei wohl eher: "Wie überlebt ein Veganer in Argentinien?"

 

Argentinien, das Land des Tangos, des Fussballs und der Steaks, also durchaus eine berechtigte Frage. Gemäss "Our World in Data" liegt das zweitgrösste Land Südamerikas auf Nummer 5 der weltweiten Liste der Länder nach Fleischkonsum pro Kopf. Insgesamt sind es gut 110kg pro Jahr. Welche Länder sind an der Spitze? Hong Kong, USA, Australien und die Mongolei. Die Schweiz liegt auf Rang 63.

 

Und in diesem Fleischparadies ich bzw. wir. Vor gut fünf Jahren haben wir als FLAMM unsere Ernährung umgestellt. Und dies ziemlich drastisch. Zunächst wollten wir nur für ein paar Tage ein veganes Leben ausprobieren, aus diesen wenigen Tagen sind inzwischen jedoch fast 2'000 geworden. Wenn ihr die Gründe hinter diesem Entscheid wissen wollt, dann fragt uns doch am besten mal persönlich oder schreibt uns.

 

Zuhause leben wir - mit Ausnahme von Honig an den Sonntagen, zwischendurch Parmesan und Mozzarella für die Kids, und manchmal Schokolade für uns alle - praktisch komplett vegan. Auswärts dürfen die Kinder machen, was sie möchten, und so gibt es immer mal wieder Fleisch, wenn sie bei Nana (Grosi), Schuelgspändli oder bei den Nachbarn sind, oder auch wenn es unterwegs ein Sandwich mit Schinken oder eine Pizza Hawaii sein soll. Fabienne und ich sind derweil konsequent und essen gar kein Fleisch und Fisch mehr. Fabienne verträgt zudem keine Eier, so dass ihre Ernährung auch auswärts praktisch ausnahmslos vegan ist. Ich beschreibe mich als Heim-Veganer und Auswärts-Vegetarier. Vegan wo möglich, aber wenn es sehr umständlich ist, weil es z.B. in der Mensa nur ein vegetarisches Menü gibt, dann ist es halt so.

 

So,  da ihr nun unseren groben Ernährungsplan kennt, kommen wir zurück zu unserer Ausgangsfrage: wie um Himmels Willen überlebt ein Veganer in Argentinien?

 

Das Wichtigste vorweg: wir leben noch:-). Und dies nicht mal schlecht, auch wenn das vegane Leben in Argentinien definitiv nicht ganz ohne ist bzw. war. V.a. aber schicken wir in diesem Zusammenhang ein lautes Dankeschön an "Giuseppe", dazu aber später mehr.

 

Beginnen wir mit der Suche nach einem Ort für unser Abendessen. Auf den schwarzen Tafeln vor den Restaurants stehen jeweils Asado (Gegrilltes), Choripán (Fleischsandwich), Parillada (gebratene Kuheingeweide), Locro (eigentlich veganer Eintopf, meist jedoch mit Fleisch angeboten), Tamales (Mix aus Hackfleisch, Gemüse und Ei in Maisschale), Cordero Patagónico (Lamm am Spiess), Milanesas aller Art (Wiener Schnitzel) usw.

 

Einfach in irgendein Restaurant reinzulaufen ist schwierig bzw. macht es für uns einfach keinen Sinn und auch keinen Spass. Ein vegetarisches Menü bedeutet dann einfach häufig, das Fleisch wegzulassen. Und das hat mit der veganen Lebensphilosophie so gar nichts gemeinsam, wo der Speiseplan in aller Regel - und so auch bei uns - bunter, vielseitiger und reichhaltiger wird als er vorher war.

 

Zum Glück gibt es tolle Hilfestellungen zur Orientierung. Z.B. die App Happy Cow, welche alle Restaurants eines Ortes abbildet, die unter anderem oder ausschliesslich vegetarisches bzw. veganes Essen anbieten. Dank den Rezensionen findet man bei der meist sehr geringen Auswahl häufig sehr rasch das Restaurant der Wahl. Immerhin werden so die Entscheidungen vereinfacht, denn man wählt in Buenos Aires sein Restaurant aus 3 statt aus über 1'000 aus, und freut sich darüber, dass auch in vergleichsweise kleineren Orten wie El Chalten, Bariloche und Salta wenigstens eine gute Adresse mit veganen Angeboten zu finden ist.

 

Das Schöne daran: diese Adressen bieten dann meistens nicht nur gutes, sondern hervorragendes Essen an. Mit sehr viel Liebe zum Detail, wie diese Bildersammlung von unseren Restaurantbesuchen in Argentinien zeigt. Es wird experimentiert mit Farben, Konsistenzen, Gerüchen und Geschmäckern.

Aber was machen wir, wenn wir nicht in einer grösseren Stadt sind bzw. auf das Essen in einem Hotel angewiesen sind?

 

Dazu muss man erwähnen, dass wir zu 95% in Ferienhäusern und -wohnungen übernachten, aus verschiedenen Gründen nur selten auswärts essen gehen. Somit bestimmen wir unseren Speiseplan meistens selbst, womit sich das "Problem" vom Hotel in den Supermarkt verschiebt. 

 

Aber was kriegt man denn in einem Supermarkt in der Stadt oder im Nirgendwo Argentiniens, wenn man sich rein pflanzlich ernähren möchte?

 

 

Kurz und knapp: erstaunlich viel! Milchalternativen hat es überall, auch im kleinen Supermarkt. In grösseren Städten sogar die grosse Bandbreite von Hafer über Soya hin zu Mandel, Kokos und Reis, manchmal sogar Quinoa. Das Müesli und das Cafe con Leche sind somit schon mal gerettet, dadurch auch das Frühstück. Ergänzt wird es bei mir häufig durch Brot mit veganem Aufstrich, z.B. Hummus, belegt mit frischem Gemüse. Bei den Medialunas (=Gipfeli) machen wir zwischendurch eine Ausnahme, aber ansonsten kriegen wir den Start reichhaltig, lecker und pflanzenbasiert hin.

Nun kommt aber der oben erwähnte "Giuseppe" ins Spiel. Unser absoluter Favorit unter den Milchalternativen sind die Not Milk-Produkte des chilenischen Start Up's NotCo, in welches u.a. der Amazon-Gründer Jeff Bezos investiert hat. NotCo ist das am schnellsten wachsende Food-Unternehmen in ganz Lateinamerika, dessen Produkte es inzwischen neben einigen Ländern Südamerikas auch in den USA zu kaufen gibt. Der Clou hinter NotCo: der patentierte Algorithmus mit dem Namen "Giuseppe" nimmt die molekulare Zusammensetzung von tierischen Inhaltsstoffen als Basis, und versucht in den mehr als 300.000 essbaren Pflanzen ähnliche Bestandteile zu finden, welche geschmacklich, hinsichtlich ihrer Konsistenz und der Art wie sie verarbeitet werden können, möglichst ähnlich sind. So enthält beispielsweise die NotMilk sowohl Ananas als auch Kohl, so dass es auf die gleiche Weise wie Kuhmilch gekocht werden kann. 

Auf dieselbe Art wurden mit der Hilfe von "Giuseppe" zahlreiche Produkte entwickelt, und das Zeug schmeckt. Uns allen. Und gerade wenn man all die notwendigen Rohstoffe für eine vielfältige und fantasiereiche pflanzliche Küche auf Reisen nicht zur Hand hat wie zuhause, sind solche Alternativprodukte eine tolle Ergänzung. V.a. wenn sie so gut schmecken und sogar noch eine akzeptable Zutatenliste haben.

 

"Giuseppe" stellt noch nicht alles für einen veganen Alltag her. Dennoch finden wir häufiger was wir suchen als erwartet. Pflanzliche Butter oder zumindest Margarine... überall verfügbar. Das mit dem veganen Käse - v.a. Hartkäse - bleibt eine Knacknuss. Dieser ist in grösseren Supermärkten immer mal wieder zu finden, schmeckt aber eigentlich nur Fabienne. Hier gibt es halt zwischendurch eine Ausnahme mit Kuhmilchkäse. Wäre schön, wenn auch hier "Giuseppe" mal die Power seines Algorithmus aufzeigen würde. Daneben stehen natürlich viel Gemüse, Linsen, Quinoa, Kartoffeln und auch Pasta auf unserem Speiseplan. Da Gewürze und andere, bei uns zuhause gängige Zutaten fehlen, sind wir zwar etwas limitiert, aber wir kommen in unseren gemieteten vier Wänden insgesamt gut über die Runden.

 

Und für unterwegs oder als Vorspeise gibt es dann immer noch die Empanadas! :-) Dazu mehr in einem früheren Post zu dieser Auszeit. Zwar häufig nicht vegan, aber immerhin fast überall vegetarisch erhältlich. "Una Docena" (ein Dutzend) und der Hunger ist wieder für mindestens zwei Stunden gestillt.

 

Alles in allem ist vegan in Argentinien teilweise eine Knacknuss, aber zumindest vegetarisch viel weniger ein Problem als gedacht. Die Alternativen ausser Haus und zuhause sind besser als erwartet. Danke dir, "Giuseppe" und danke den innovativen Gastronominnen und Gastronomen für ihren Pioniergeist!

 

Inzwischen sind wir aber nicht mehr in Argentinien, sondern über San Pedro de Atacama in Chile zum Salar de Uyuni nach Bolivien gereist. Hier stehen wir definitiv vor ganz neuen Herausforderungen. Argentinien war im Vergleich dazu kompletter Luxus, wenn man sich pflanzlich ernähren möchte. Selbst die Empanadas - welche hier Saltenas heissen weil eine Frau aus Salta in Argentinien diese Speise in Bolivien bekannt gemacht hat - werden mit Gelatine hergestellt, dessen Hauptbestandteil aus dem Bindegewebe von Schweinen und Rindern produziert wird. Pflanzliche Milch ist praktisch nirgends zu finden, ausser man ist in den grössten Supermärkten der grossen Städte. Die nächsten Wochen werden für uns kulinarisch deshalb nicht einfach. Für uns wird das nicht mehr reichen, aber hoffentlich hält "Giuseppe" auch in diesem südamerikanischen Land ohne Meerzugang bald Einzug.

 

Aber gerade weil Bolivien bis anhin eine ziemliche Herausforderung darstellt, wollen wir an dieser Stelle noch von einem kulinarischen Highlight berichten:

In einem Restaurant in Uyuni haben wir unser mitunter bestes, veganes Essen aller Zeiten gegessen. Wir sind so begeistert, dass wir hier sogar Werbung machen für das "Hot Spot". Ein kleines Restaurant, welches seine Gäste seit 5 Jahren mit einem 5- oder 7-Gang-Menü mit aussergewöhnlichen, sensorisch äusserst spannenden Kombinationen aus vielen auch unerwarteten bolivianischen Zutaten überrascht.

 

Das Menü ist grundsätzlich omnivor, d.h. inklusive Fleisch und/oder Fisch, man kann es aber auch vegetarisch oder vegan bestellen. Eine kulinarische Bombe mit einer Geschmacksexplosion, die seinesgleichen sucht (s. Bilder unten). Man wähnt sich in einem New Yorker-Luxus-Gourmettempel, befindet sich aber auf 4'000m Höhe mit ziemlich bescheidenen Einkaufsmöglichkeiten.

 

Wir sind gespannt, wie wir den Rest unserer Auszeit vegan oder zumindest vegetarisch gestalten und "überleben" werden. Sind aber zuversichtlich, dass mit Offenheit und Herzlichkeit von uns und Pioniergeist verschiedener Südamerikanerinnen und Südamerikanern noch weitere Türen geöffnet werden, welche uns auch im Nachhinein ein grosses Lachen auf das Gesicht zaubern werden.

 

Und zum Abschluss: Hey Jeff, if you're reading this, please bring these "Giuseppe"-products to Switzerland. As soon as possible... :-)

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Kommentare: 1
  • #1

    Yvonne (Dienstag, 28 Mai 2024 09:24)

    Danke für die vielen Insidertipps :-)! Jetzt habe ich direkt Appetit bekommen- sieht sehr lecker aus!