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FLAMM fährt Taxi, viel Taxi in Südamerika

Taxifahren. Tun wir als Familie in der Schweiz selten bis nie. Im Ausland öfters. Und auf unserer aktuellen Reise so richtig, richtig oft. Unter anderem aus dem Grund, weil wir hier meist kein eigenes Fahrzeug haben, um von A nach B zu kommen.

 

Unsere Kinder lieben das Taxifahren. Andere Länder bedeutet andere Sitten. Und damit ist in Bezug auf die Nutzung von Taxis meist keinerlei Einhaltung von in der Schweiz sakrosankten Regeln gemeint. Dieser Umstand begeistert unsere Jungmannschaft.

 

Seit Start unserer Südamerikareise sassen wir gefühlt in über 100 Taxis. In 99% der Fälle sitzen wir zu viert auf dem Rücksitz und Marcel vorne. Ausser im Süden Argentiniens. Dort wird strengstens auf die «nicht mehr als fünf Personen»-Vorgabe geachtet und das hiess für FLAMM dann Aufteilung auf 2 Taxis. Ganz im Gegensatz zur Hauptstadt Buenos Aires. Da quetschten wir uns hemmungslos zu fünft auch in Kleinstwagen und es interessierte keine Menschenseele. 

Aber zurück zum allgemeinen Taxisetting. Das Interieur der südamerikanischen Taxis ist ausgesprochen unterschiedlich. Von recht chicen Karossen mit gepflegten Armaturen, guten Musikboxen, nett duftendem Inneren (wobei da die europäische Nase nicht immer den gleichen Geschmack hat wie die südamerikanische), sicher abriegelbaren Türen bis hin zu lustigen Rostbeulen auf vier Rädern mit zerschlissenen oder in Plastik eingefassten Sonnenblenden, Innendächern oder sogar Sitzen, mangelhaften Türschlössern und nicht mehr vollständig verschliessbaren Fenstern ist alles dabei. Solche wo die Knie bei Marcel fast auf Kinnhöhe sind oder schon zwei Erwachsene hinten fast keinen Platz hätten. Was sowohl die "Luxusmodelle" als auch die in der Schweiz so garantiert nicht mehr zugelassenen Karren gemeinsam haben, sind die vorne bei jeder Bewegung mitwippenden Glücksbringer. Gnome, Elfen, Zwerge, Kreuze, Kränze, Enten (deren Glücksfaktor konnten wir noch nicht eruieren) – der Kreativität sind da keine Grenzen gesetzt. Zweck all dieser Dekorationen: Schutz. Und das ist in Südamerika im Strassenverkehr grundsätzlich eine gute Idee. Wobei langsamer fahren, in der Nacht mit Abblendlicht unterwegs sein (oder als Minimalvariante mit Standlicht), an unübersichtlichen Stellen und innerorts nicht wie wild überholen wohl die sinnvolleren Ansätze wären. Fabienne liess sich nach einer erst kürzlich erfolgten Horrorfahrt dazu hinreissen, die Verkehrsstatistik Perus genauer unter die Lupe zu nehmen. Verkehrstote in Peru sind pro Einwohner etwa 4 mal häufiger als in der Schweiz. Das geht aber irgendwie noch, wenn man die "Weltrangliste" hierzu anschaut. Saudi-Arabien und Ägypten schwingen da mit unglaublich viel höheren Zahlen obenauf. Und zu viert ohne Helm auf dem Motorrad scheint irgendwie auch nicht sicherer. Also sind wir doch beruhigt - alles eine Frage des Vergleichs. In der Fremde unterwegs zu sein, heisst eben auch das: sich auf Realitäten vor Ort einlassen und mit diesen leben.

 

Nach über 4 Monaten Südamerika empfinden wir es beim Besteigen eines Taxis deshalb wohl bereits als fortschrittlich und sicherheitsspendend, wenn der Beifahrer einen funktionstüchtigen Sicherheitsgurt zur Verfügung hat. Und bisweilen hat ein Taxi ja dann auch auf dem Rücksitz Gurten. Vielleicht aber auch nicht. Und wenn es welche hat, wissen wir inzwischen: sie funktionieren manchmal, aber eben wirklich nur manchmal, was auf südamerikanisch fast nie bedeutet. Oft sind sie reine Dekoration. Von dem Gebrauch, Nichtgebrauch oder überhaupt Vorhandensein von Kindersitzen fangen wir hier gar nicht erst an.

 

Die Reaktionen beim Taxifahren sind innerhalb unserer Familie inzwischen eingespielt. Marcel verhandelt zunächst mit dem Fahrer (fast immer männlich) den Preis, lächelt Fabienne je nach Fahrmodell und Situation beim Einsteigen an, auf den Lippen ein «entspann dich, das kommt schon gut». Die Kids sind relaxed, jubeln oder sagen Dinge wie «Autofahren in der Schweiz ist sowas von langweilig» oder «ich möchte immer so unterwegs sein». Und diejenige, die sich entspannen soll, tut das so gut wie möglich. Ist jedoch nie davon abzubringen das Kind links oder rechts von ihr noch ein bisschen festzuhalten. Im Wissen darum, dass das total sinnfrei ist und nichts bringt, wenn es krachen würde.

Taxifahren ist aber abgesehen vom Sicherheitsaspekt toll. Wenn der Taxifahrer nicht grad im introvertierten Schweigsamkeitsmodus ist (v.a. in Peru), erfährt man so allerhand. Wie die Menschen im Land leben. Wie der Durchschnittslohn ist oder wie hoch die Wohnungsmieten sind. Wie viele verschiedene Arbeitsstellen die Menschen teilweise zusätzlich zum Taxifahren innehaben. Was politisch grad läuft oder eben nicht läuft, denn irgendwelche Streiks, Putschversuche oder zumindest Demonstrationen gibt es gefühlt immer und überall. Für welche Fussballmannschaft der Taxifahrer jubelt. Wie viele Kinder von wie vielen verschiedenen Frauen der Fahrer hat und wie schockierend die Nachricht einer erneuten Schwangerschaft von Frau oder Freundin sein kann. Marcel hat für seine Erzählung des Nicht-Schockiertsein in Bezug auf die damals nahende Vaterschaft der Zwillinge übrigens so manchen Schulterklopfer eingesteckt.

Man kriegt des Weiteren Tipps fürs Geldwechseln, für Ausflugsziele oder wo man keinesfalls hinsoll. Die Taxifahrer der richtig extrovertierten Sorte erzählen Geschichten. Mythen. Halten dafür auch mal irgendwo an, um etwas zu erläutern oder zu verdeutlichen. Teilen ihr Wissen über Pflanzen. Dann gibt es die Taxifahrer, die einen zu einem vermeintlich geöffneten Schwimmbad fahren, dort hemmungslos die verschlossene Türe aufstossen und dann auch noch aufs eigentlich geschlossene Areal fahren, um sicherzugehen, dass das hier wirklich nichts wird. Der Schwimmbadtaxifahrer war übrigens auch sonst goldig. Wir landeten nämlich in seinem Auto, weil die Batterie unseres Wagens tot war. Er fuhr nach der Schwimmbadaktion extra zu sich nach Hause, holte dort ein Überbrückungskabel und brachte damit unseren Wagen wieder in Schwung. Kostenlos. 

 

Je nach Gegend nutzen wir auch immer wieder Sammeltaxis, sogenannte Colectivos. In diesen sind wir dann meist auf kleinstem Raum mit ganz vielen Einheimischen unterwegs. Da wird zwar ein bisschen intensiv gestarrt, weil irgendwie nie andere Touristen mit uns in diesen Colectivos sitzen, aber gleichzeitig sind alle ausgesprochen freundlich und hilfsbereit. Und Marcel und Fabienne kriegen eigentlich immer sehr schnell einen Sitzplatz. Weil alles über 1.70m-Grösse stehend schlicht nicht in diese Fahrkisten passt.

 

Zu guter Letzt sei hier auch noch das Wassertaxi erwähnt. Solche nutzten wir ausschliesslich während unserer Zeit am Titicacasee. Perspektivenwechsel auf die Gegend und gemütliches Dahintuckern waren die Vorteile. Seekrankheit und das beinahe Verpassen unseres Buses in Puno die Nachteile. Immerhin lernten wir durch letzteres: Bestell ein Wassertaxi IMMER mit ganz viel Zeitpuffer plus Puffer des Puffers!

 

Zusammengefasst können wir sagen: Auch Taxi fahren bildet. Ohne das Unterwegssein in Taxis wüssten wir all die folgenden Dinge nicht:

  • In Argentinien kannst du die meisten Taxifahrer nach der besten Wechselstube fragen. Sie fahren dich hin. Und nein, wir wurden nie betrogen oder ausgeraubt. Auch wenn sich die Wechselstuben wie bereits einmal in einem Blog beschrieben teilweise an etwas skurrilen Orten befinden. Der Tipp "nimm einen Rucksack" mit stammt übrigens ebenfalls von einem Taxifahrer.
  • Beinahe jeder Taxifahrer In Argentinien hat mindestens einen zweiten Job. Sonst reicht es nicht für die Miete. Und schon gar nicht für den Unterhalt einer Familie. Oft werden mit dem Lohn auch die pensionierten Eltern unterstützt. 
  • Der neue Präsident Argentiniens Javier Milei wird entweder geliebt oder er wird gehasst, dazwischen gibt es nichts. Und auch wenn dieser weit entfernt von unserer politischen Linie ist; die Argumente der Befürworter für einen notwendigen Wandel in Argentinien waren durchaus nachvollziehbar. Auch wenn es sich hier gemäss Experten um das grösste volkswirtschaftliche Experiment aller Zeiten handelt.
  • Die Stadt El Calafate hat ihren Namen von einem in der patagonischen Gegend häufig anzutreffenden Strauchgewächs. Die Calafate-Sträucher besitzen gelbe Blüten und dunkelblaue Beeren. Die Beeren sind geniessbar und hinterlassen auf der Zunge noch für längere Zeit ihre Farbe. Zu Konfitüre oder zu Glacé verarbeitet sind sie übrigens auch sehr lecker. 
  • In Argentinien hat es am Strassenrand an sehr vielen Orten kleine Gedenkstätten/Schreine, bei denen Wasserflaschen deponiert sind. Dieser Umstand ist auf die Legende von Difunta Correa zurückzuführen: Die Frau folgte zusammen mit ihrem Säugling ihrem Mann in die Wüste, nachdem dieser aufgrund des herrschenden Bürgerkriegs verschleppt wurde. Sie verdurstete. Wird von Gauchos gefunden. Ihr Säugling überlebte auf wundersame Art, weil sie ihn an ihrer Brust hatte und er weiterhin Milch trinken konnte. Zumindest besagt das die Legende. Insbesondere LKW-Fahrer verehren Difunta Correa noch heute - sie gilt als Schutzheilige der Reisenden. 
  • Duendes sind Elfen. Diese beschützen die Autofahrer im Strassenverkehr. Und das tun sie effektiver und motivierter, wenn man zu ihren Füssen Süssigkeiten deponiert
  • Guanakos zu Essen gilt als Diätform bei zu hohem Cholesterinspiegel. Jedenfalls hat dies ein Taxifahrer ausprobiert, nachdem er mit ganz schlechten Werten im Spital gelandet ist. Nach 10 Tagen exklusivem Guanakofleischgenuss sei er wieder top fit gewesen. Und hätte endlich wieder auf sein ihn glücklichmachendes Asado umsteigen können.
  • Die Frucht Guama - eine lange, grüne Bohne, dessen weisses Inneres man essen kann - wird aufgrund ihres süssen Geschmacks und der glatten Textur des Fruchtfleisches auch Eiscrème-Bohne genannt. Und: Die Guamabäume gelten als Bodenverbesserer und verhindern Erosionen. Die Bohnen innerhalb der Bohne sollen übrigens gekocht geniessbar sein. Haben wir aber nicht ausprobiert. 
  • Während der Coronazeit wurde in der Stadt Uyuni viel gebaut. Die Menschen nutzten die Zeit für den Aufbau von Eigenheimen. Allerdings sind viele davon bis heute nicht fertig, so dass der entsprechende Stadtteil wie eine riesige Baustelle aussieht.
  • In Bolivien sind die Chinesen ziemlich beliebt, weil sie viel in diesem Land investieren. Die Amerikaner dafür weniger.
  • Taxifahrer sind nirgends so schweigsam wie in Peru. Dies passt zu diesem im Vergleich zu anderen südamerikanischen Ländern eher introvertierten Volk.

In diesem Sinne: Ein herzliches Dankeschön an alle Taxifahrer oder Colectivofahrer, die uns in verschiedensten Ländern Südamerikas sicher von A nach B gebracht und dabei Wissen oder Geschichten aus ihrem Leben mit uns geteilt haben!

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Kommentare: 1
  • #1

    Sonja (Samstag, 29 Juni 2024 13:25)

    So schöne Geschichten von Taxi fahren und anderem. Herzlichen Dank und weiterhin tolle und unfallfreie Taxifahrten!
    Herzgruss Sonja