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Der bärtige Kanadier und sein Ayahuasca-Retreat

Eigentlich wollen wir grad los, auf einen kleinen Wanderspaziergang. Aber plötzlich steht er da. In unserem Vorgarten. Mittelgross, bärtig, Mike. Aus Kanada. 1  Minute Smalltalk und wir sind bereits zum Abendessen bei ihm und seiner Familie eingeladen. Nach Erwähnung, dass wir Vegetarier sind (das mit dem vegan bringen wir hier meist gar nicht erst), wird das Abendessen flugs zu einem Apéro mit Snacks umgewandelt. Und findet bei uns statt. Bestimmt Mike so. Widerstand oder Widerspruch absolut zwecklos. Nach weiteren 3 Minuten Austausch sind wir dann auch über die wichtigsten aktuellen Lebensfakten seitens Mike im Bilde: Er hat gerade 34 Tage Ayahuasca-Retreat hinter sich. In Kolumbien. Krasse Erfahrung sei das gewesen. Seither trinke er endlich keinen Alkohol mehr - das sei wichtig für seine Rolle in der Familie. Ok. Wieso soll man auch so persönliche Dinge nicht in den ersten Minuten mit Wildfremden teilen? Wir Schweizer sind hier vielleicht auch bisweilen einfach zu reserviert. Mike bleibt im Erzählflow. Seine Familie hat ihn nach der "deep experience" vom Ayahuasca-Retreat abgeholt und nun sind sie gemeinsam in Peru unterwegs. Seine Frau arbeitet täglich - sie hat irgendeine wichtige Funktion bei Glencore inne. "She does a damn good job", wie er mehrfach betont. "Her performance is at 170%". Jetzt sei sie grad auch in Meetings. Und er und die Kids würden sich ein wenig umschauen. Mike ist Mechaniker. Und aktuell Hausmann. War mal mit einem umgebauten 69-DDR-Militärschlitten für 1.5 Jahre in Afrika unterwegs, bevor er diesen dann an ein Unternehmen in Kamerun verkaufte . Wunderbar - so wissen doch zumindest wir, mit wem wir es dann später beim Apéro zu tun haben. Mit einem "see you all at 3pm" machen wir uns vom Acker und auf zu unsrem Bewegungsprogramm.  

 

Zur vereinbarten Zeit ist FLAMM zurück und parat. Die noch kurzfristig zu Fuss im Dorfladen organisierten Snacks stehen an einem Sonnenplatz bereit. Mikes Kinder wuseln bereits um unser Haus herum, fragen ausgesprochen höflich, ob sie sich bereits mit Chips eindecken dürfen. Natürlich dürfen sie. Von Mike und seiner Frau fehlt jede Spur. Das bleibt auch noch 1 Stunde lang so. Die Sonne verschwindet hinter dem Hügel und damit wird es auf 3000m kühl. FLAMM räumt alles für den Apéro wieder um und ins Haus rein. Und irgendwann tauchen Mike und seine Frau Michele auf. Ausgerüstet mit grossen Schüsseln voller selbstgemachter Snacks. Für unsere Verhältnisse würde das als Abendessen gelten. Passt aber prima - wir sind hungrig. 

 

Schnell kommen wir ins Gespräch. Marcel und Fabienne stellen Fragen, die Kanadier erzählen ganz viel. Mike berichtet nochmals im Detail über sein Retreat. Über die 28 Ayahuasca-Shots, die er in den 34 Tagen zu sich genommen hat. Die Wirkung und Nebenwirkungen auf ihn und die Nebenwirkungen und Wirkung auf seine Retreatnachbarn. Da wird weder das Erbrechen noch der Durchfall ausgelassen. Auch nicht die schwierigen Lebensgeschichten der Teilnehmenden. Diejenige von Mike aber auch die der uns komplett Unbekannten. Michèle kommentiert das eine oder andere - schliesslich hat sie ja für das Retreat bezahlt, wie sie unmissverständlich klar macht. 

 

Zwischendurch schweift das Gespräch zu Themen wie Homeschooling, Worldschooling, Unschooling und Kohleminen ab. Irgendwie landen wir aber immer wieder bei der Wirkung von Ayahuasca. Mike wird im Verlaufe des Apéros immer unruhiger. Nimmt zwischendurch mal entschuldigend einen Anruf vor dem Haus entgegen. "I have to take this, sorry. "

 

Irgendwann, als Mike gerade detailliert ausführt, dass er ja eigentlich voll nicht spirituell sei und bislang nie über Emotionen geredet habe, piepst sein Handy erneut. Mike wirft einen Blick auf das Display, juckt darauf hin mit einem Sprung vom Sofa auf, entschuldigt sich und meint "sorry, someone is waiting for me, I have to go." Wir sind ein bisschen überrascht. Wie, jetzt sofort?!? Mit einem Fuss bereits aus der Türe verabschiedet sich Mike mit einem Winken. Und merkt mit einem Hinweis auf sein Handy noch an, dass sein "Magic Mushroom-Lieferant" vor den Toren der Siedlung mit ebendieser Substanz auf ihn wartet und er deshalb wirklich weg müsse. Bevor er ganz aus der Türe ist, bittet er seine Frau noch darum, unsere Kontaktdaten aufzunehmen - irgendwann werde er ja sicher auch mal in die Schweiz kommen und sich dann bei uns melden. Und weg ist er. Wir bleiben - wohl mit etwas lustigen Ausdrücken auf unseren Gesichtern - zurück. 

 

Michèle zieht kurze Zeit später inklusive den noch dastehenden Schüsseln ebenfalls von dannen. Und ist nun ein neuer Facebook-Kontakt von Fabienne. 

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Kommentare: 2
  • #1

    Schilliger Andrea (Samstag, 06 Juli 2024 16:12)

    Ok (man beachte die Betonung���)!?!?

  • #2

    Sonja (Freitag, 16 August 2024 10:59)

    wow, das macht das Reisen ja auch aus, so überraschende und nachhallende Begegnungen. Merci fürs Teilen!